Veranstaltung: | Landesdelegiertenrat 03.11.2018 in Schönebeck LV LSA |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge |
Antragsteller*in: | Landesverband (dort beschlossen am: 03.11.2018) |
Status: | Angenommen |
Beschlossen am: | 03.11.2018 |
Eingereicht: | 14.11.2018, 17:56 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A-1NEU: Gesund und nachhaltig bauen und wohnen
Antragstext
Gesund und nachhaltig bauen und wohnen –
Die Ökobilanz von Neubauten und Sanierungen in
Sachsen-Anhalt umfassend verbessern.
Leitbild:
Einen Großteil unseres Lebens verbringen wir in geschlossenen Räumen. Die
Gebäude und Wohnungen, in denen wir uns Zeit unseres Lebens größtenteils
aufhalten, spielen also eine zentrale Rolle für unsere Gesundheit und unser
Wohlbefinden. Wohngesundheit muss aus gesundheitspolitischer und
verbraucherschutzpolitischer Sicht hoch angesetzt werden.
Gleichzeitig trägt die Bauindustrie alleine durch die Herstellung von Zement zu
ca. 8 % der weltweiten CO₂äq Emissionen bei. Auf den Deponien in Sachsen-Anhalt
und anderswo finden sich viele mineralische Abfälle aus der Bauwirtschaft.
Konventionelle Dämmstoffe sorgen für Müllberge. Zum Beispiel das
Flammschutzmittel HBCD in Polystyrol-Dämmstoffen.
Die Fragen nach für Menschen gesunden und für die Umwelt nachhaltigen Bauen und
Wohnen sind wesentlich für die Politik. Leitbild bündnisgrüner Politik ist
dabei, auf den Punkt gebracht. das Öko-Haus: ein Gebäude, das nicht CO₂äq
freisetzt, sondern vielmehr bindet. Im besten Falle aus nachwachsenden Bau- und
Dämmstoffen besteht, die ökologisch produziert sind. Bei dessen Errichtung
Baumaterialien aus recycelten Bauprodukten verwendet werden, die ihrerseits
recycelbar sind und die regionale Kreislaufwirtschaft stärken. Ein solches
Gebäude punktet nicht nur in Sachen Klimaschutz, sondern fördert auch die
Wohngesundheit und das Wohlbefinden der BewohnerInnen.
Dies bündelt sich für uns in dem Slogan:
Öko-Bauen: Gut für das Klima. Gut für den Menschen.
Für Sachsen-Anhalt birgt die Stärkung des Öko-Bauens auch eine wirtschaftliche
Chance. Gerade die hiesige Holzwirtschaft kann davon profitieren. Wir wollen das
ökologische Bauen in Sachsen-Anhalt aus seiner Nische holen. Als Land wollen wir
dafür als gutes Beispiel vorangehen. Die Landesenergieagentur hat sich mit ihrer
baubiologischen Ergänzung der Bauherrenmappe auf den Weg gemacht. Dieser Impuls
ist im Land dringend aufzugreifen und zu verstärken. Ein schlichtes weiter so,
ein weiteres Zustellen der Landschaft mit Beton und Styropor, wollen wir
verhindern. Für uns gehört die Zukunft dem nachhaltigen und ökologischen Bauen.
Damit sich diese Zukunftsvision erfüllt sind jetzt die Weichen zu stellen.
Öko-Bauen: Weit mehr als nur gute Dämmung
Ökologisches Bauen verlangt zu Beginn eine Weitung des Blickes. Denn der gängige
enge Fokus einzig auf den Energieverbrauch in der Nutzungsphase von Gebäuden
greift viel zu kurz, um die wirkliche Öko-Bilanz eines Gebäudes zu erfassen.
Energetische Sanierung ist gut und richtig zur Reduzierung der CO₂äq-Emissionen.
Aber es gilt den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – von der
Baustoffproduktion bis zum Rückbau – zu betrachten. Das bedeutet bspw., die
Graue Energie und die eingebundenen CO₂äq-Emissionen, die u .a. zur Herstellung
und Entsorgung von Baustoffen benötigt werden, einzurechnen. Denn ein gut
gedämmtes konventionelles Einfamilienhaus benötigt für seine Herstellung die
Energie von rund 200 Jahren Beheizung dieses Gebäudes. Öko-Häuser, seien sie aus
Holz oder Lehm, verbrauchen in ihrer Errichtungsphase deutlich weniger Energie
und stehen entsprechend in der Energiebilanz weit besser dar.
Nachhaltig Bauen heißt für uns bei Energieverbrauch, Baustoffen und
Kostenkalkulationen, den gesamten Lebenszyklus der Gebäude einzubeziehen. Dieser
nachhaltige Blick muss für PlanerInnen, ArchitektInnen, BauherrInnen,
BauträgerInnen und natürlich die Politik zum Standard werden.
Mit diesem weiten Blick sind die Vorteile ökologischen Bauens augenfällig.
Tragen doch Betonhäuser zur CO₂äq Emission bei, wohingegen Holzhäuser CO₂äq
binden. Die Landesenergieagentur beziffert die Differenz mit ca. 60 t CO₂äq. Der
Bau eines Einfamilienhauses führt zu ca. 45 t CO₂äq-Emissionen, wohingegen ein
ökologisches Einfamilienhaus aus Holz mit Naturdämmstoffen ca. 15t CO₂äq bindet.
Ergo 60 t CO₂äq-Differenz. Auch können die Bauteile eines Holzhauses am Ende
seines Lebensweges als erneuerbare Energieträger verwertet werden, während manch
anderer Baustoff teuer auf der Sondermülldeponie zu entsorgen ist. Das Gleiche
gilt natürlich für Ökodämmstoffe wie Stroh und Zellulose, im Vergleich zu
konventionellen wie Polystyrol-Dämmstoffen. Die Einbeziehung solcher
Lebenszykluskosten unterscheidet das nachhaltig ökonomische Denken von
herkömmlichen Wirtschaftlichkeitsberechnungen, bei denen oft nur die
Anschaffungs- und Baukosten eine Rolle spielen. Gerade im Bereich öffentlicher
Bauaufträge wollen wir Bündnisgrüne dieses nachhaltige ökonomische Denken
verankert wissen. Es darf nicht nur gelten, möglichst billig zu bauen, sondern
gerade der öffentlichen Hand muss es auch um ein wirtschaftlich nachhaltiges
Bauen gehen, das ökologische und wohngesundheitliche Aspekte verwirklicht.
Gerade in Bezug auf Holzbau besteht in Sachsen-Anhalt Nachholbedarf. Man muss
gar nicht mal nach Süddeutschland schauen, mit einem Anteil von bis zu 26 %
Holzbauten – so in Baden-Württemberg. Es reicht der Blick in die anderen
Ostländer wie Sachsen mit 15 % und Thüringen mit 13 % Holzbauten, um klar vor
Augen geführt zu bekommen: Sachsen-Anhalt liegt mit einer Holzbauquote von knapp
über 9 % deutlich in der Schlussgruppe.
Ökologisch bauen geht nur, wenn wir den Flächenverbrauch in den Griff bekommen.
Eine Ausweitung der baulichen Flächennutzung bei gleichzeitigem
Bevölkerungsrückgang ist aus unserer Sicht nicht vertretbar. Der Neubaubedarf im
Wohnungsbau ist landesweit betrachtet gering, der Bestandsanpassung kommt eine
tragende Rolle zu. Grüne Politik lenkt die Bauaktivität in flächenschonende
Bereiche.
Wohngesundheit fördern durch ökologisches Bauen.
Auch Kleidung aus 100 % Polyester hält warm. Aber bekanntermaßen ist solche
Kleidung nicht atmungsaktiv, gibt bei jedem Waschen Mikroplastik in den
Wasserkreislauf ab und hat einen geringen Tragekomfort. Weit besser sind
Naturprodukte wie Baumwolle. Sehr ähnlich verhält es sich mit Hausdämmung. Auch
Polystyrol-Dämmstoffe halten die Wärme im Inneren, aber das Raumklima nimmt
Schaden. Ganz anders bei Öko-Dämmstoffen. Durch diese bekommen wir „atmende
Wände“. Angefangen bei mineralischer Dämmung aus Kalk, Sand und Zement über
nachhaltige Materialien wie Zellulose, Wolle oder Stroh. Dann droht nicht
Schimmelbefall durch mangelnde Lüftung, sondern Wohngesundheit wird umfassend
gefördert.
Lehm ist für Allergiker interessant, denn das Naturprodukt filtert nicht nur
Schadstoffemissionen, sondern auch Feinstäube aus der Raumluft und bindet diese
dauerhaft. Lehm trägt dazu bei, den Feuchtigkeitsgehalt des Wohnraums zu
regulieren, indem er Wasserdampf aufnimmt, speichert und bei Bedarf wieder
abgibt. Schimmelbildung und etwa ein Austrocknen der Schleimhäute wird dadurch
vorgebeugt. Auch der Baustoff Holz ist schadstoffabsorbierend. Daneben sorgt es
für ein ausgeglichenes Innenraumklima, indem es die Feuchtigkeit der Raumluft
aufnimmt, speichert und bei zu trockener Luft wieder abgibt. Mit Abnahme der
relativen Luftfeuchtigkeit stirbt auch ein Großteil der Hausstaubmilben, was für
Allergiker besonders vorteilhaft ist.
Als Bündnisgrüne denken wir Klimaschutz und Wohngesundheit stets zusammen. Denn
energetische Sanierung darf nicht auf Kosten der Wohngesundheit gehen. Bis vor
kurzem kam etwa zur Dämmung das hochgiftige Flammschutzmittel HBCD in
Polystyrol-Dämmstoffen zum Einsatz. Die Ausnahmegenehmigung für den Einsatz
dieses toxischen Stoffes war von der EU bis 2017 verlängert worden, obwohl es
bereits seit Oktober 2016 als "Sonderabfall" deklariert war.
Die Europäische Gesellschaft für gesundes Bauen und Innenraumhygiene stellt dazu
allgemein fest, dass neben genetischen und allgemeinen Umwelteinflüssen
zunehmend Schadstoffe aus Bauprodukten/ Einrichtungsgegenständen als mögliche
Verursacher von Allergien in den Blick geraten. Auch kommen Studien des
Helmholtzinstituts und der Universität Leipzig zu dem Schluss: „Insbesondere vom
Renovieren von Wohnungen geht eine Gefahr für die Kinder aus, an Allergien zu
erkranken.“[1]
Wohngesundheit im Sinne eines allergikerInnenfreundlichen Bauens und des
Anspruchs der Schadstoffminimierung ist als wesentlicher Aspekt ökologischen
Bauens mit zu denken. Schließlich können auch Holzbauten durch entsprechende
Lacke und Holzschutzmittel gesundheitsschädigend wirken. Nur im Zusammenspiel
von ökologischen und gesunden Bauen bekommen wir einen Mehrwert für Mensch und
Natur.
GRÜNE Forderungen zur Stärkung des Öko-Bauens:
- Kommunale und Landesförderung von ökologischen Bau- und Dämmstoffen als
Marktanreizsystem. Sachsen-Anhalt soll sich ein Beispiel an den Ländern
Hamburg und Bayern oder etwa der Stadt München nehmen, die bereits
baubiologische Programme in ihre Förderkulisse aufgenommen haben.
- Aufnahme von baubiologischen Aspekten in das Landesvergabegesetz.
- Berücksichtigung von baubiologischen Anforderungen bei der Ausschreibung
öffentlicher Bauvorhaben. Sowohl auf Seiten der Kommunen, wie des Landes.
- Holzbauquote deutlich steigern. Bis 2030 Angleichung mindestens auf Ost-
Niveau (von knapp über 9 % auf mindestens 15 %). Dafür ist Anpassung der
Landesbauordnung an Musterbauordnung im Bereich Holzbauten nötig und der
Einsatz des Landes auf Bundesebene zur Umsetzung der Charta Holz 2.0.
- Einsatz des Landes auf Bundesebene für eine stärkere Berücksichtigung der
Emissionen bei der Herstellung von Baustoffen in der
Energieeinsparverordnung.
- Flächenverbrauch senken: Die Landesebene soll Voraussetzungen für den
Handel mit Flächenzertifikaten schaffen. Mit den Einnahmen können Flächen
renaturiert oder die Wiederbelebung von Leerstand im Innenbereich
unterstützt werden.
Ökologisches Bauen: Wissen wie es geht
Neben einer materiellen Förderung des Öko-Baus, um dessen Marktgängigkeit zu
befördern und als Land mit gutem Beispiel voran zu gehen, bedarf es auch einer
ideellen Unterstützung. Zwar gibt es beispielsweise den Fernlehrgang Baubiologie
vom Institut für Baubiologie und Nachhaltigkeit (IBN) in Rosenheim, aber eine
breit aufgestellte Wissensvermittlung und einschlägige Berufsabschlüsse fehlen.
So kann das Ansinnen von Bauherren ökologisch zu bauen schlicht und ergreifend
daran scheitern, dass niemand gefunden wird, der dazu auch die nötige Kompetenz
hat.
Die Landespolitik ist gehalten, zusammen mit den Handwerkskammern und
VertreterInnen einschlägiger Studiengänge Curricula zum ökologischen,
nachhaltigen und wohngesunden Bauen zu entwickeln, spezifische
Fortbildungsangebote zu schaffen und generell den Wissenstransfer zu fördern.
Zusammen mit der Landesenergieagentur hat das Land eine Online-Plattform
einzurichten zur Vermittlung und Vernetzung von Betrieben und Unternehmen, die
im Bereich ökologisches Bauen und Sanieren besondere Expertise vorweisen. Das
umfasst sowohl die Baustoffproduktion, den Baustoffhandel, Planerinnen und
Planer, Architekturbüros, Handwerksbetriebe und natürlich Bauträger. Eine
Online-Plattform soll diese vielfältigen Akteursgruppen im Bereich des
ökologischen Bauens vernetzen und einen möglichst umfassenden zentralen
Anlaufpunkt für Sachsen-Anhalt anbieten. Damit sowohl BauherrInnen leichter
passende Anbieter finden können, als auch die einschlägigen Betriebe und
Unternehmen unkompliziert „gleichgesinnte“ KollegInnen aus dem Bereich
ökologisches Bauen kontaktieren können.
GRÜNE Forderungen
- Schaffung einer Online-Plattform für baubiologisch orientiere Unternehmen.
Zur Vernetzung der Fachkompetenz im Land und einer zentralen Anlaufstelle
für interessierte (potentielle) Bauherren.
- Kompetenzerwerb und Wissensmanagement im Bereich ökologisches Bauen sowohl
ideell wie materiell fördern.
- Landesförderung für baubiologische Fort- und Weiterbildungsangebote.
Grünes Bauen und Quartiersentwicklung
Nachhaltiges Bauen hat auch eine soziale Komponente. Damit fügt sich dieser
Ansatz in das Grüne Leitbild eines inklusiven Quartiers ein. Etwa die Deutsche
Gesellschaft für nachhaltiges Bauen berücksichtigt bei ihrer Zertifizierung
ausdrücklich die „Standortqualität“, ob also Gebäude einen positiven Beitrag für
das Quartier leisten und beispielsweise Gegebenheiten im Quartier
berücksichtigen. Das einzelne Gebäude wird so im Zusammenhang mit dem Quartier
und seinen BewohnerInnen betrachtet und bewertet. Nachhaltiges Bauen ist der
harte Fakt für eine gelungene Quartiersentwicklung. Doch diese ist ebenso
abhängig von weichen Faktoren wie QuartiersmanagerInnen, Quartierbüros und der
Förderung von Vernetzung, etwa im Rahmen der Pflege und Unterstützungsleistungen
für ältere Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Familien. Damit fügt sich der
Ansatz „Öko-Bauen“ nahtlos an den Parteibeschluss „Selbstbestimmt wohnen und
leben – auch bei Pflege und Unterstützungsbedarf“ und erweitert diesen
programmatisch um eine wohnungs- und baupolitische Dimension. Das inklusive
Quartier wollen wir im Grünen Sinne auch zu einem klimaneutralen und
nachhaltigen Quartier machen. Ein solches Quartier ist dann Symbol einer sozial-
ökologischen Wende. Um einen solcherart inspirierenden Ort gelungener Praxis zu
schaffen, wollen wir ein wissenschaftlich begleitetes und evaluiertes
Modellvorhaben in Sachsen-Anhalt landesseitig fördern.
GRÜNE Forderung:
- Ausschreibung einer langfristig angelegten Landesförderung für ein
Modellvorhaben „Inklusiv und klimaneutral: Das Vorzeigequartier Sachsen-
Anhalts“ unter enger Einbeziehung sozial- wie ingenieurswissenschaftlicher
Expertise und begleitender Evaluation.